Wir haben eine schöne Wiese, da stehen Schafe drauf. Es sind rauhwollige Pommern, eine anspruchslose Rasse, die weder Kraftfutter noch Rüben benötigt, man braucht nur Gras, um sie satt zu kriegen. Im Winter halten wir drei bis vier Tiere, im Sommer, wenn die Lämmer gekommen sind, können es auch mal neun oder zehn sein. Die Fläche reicht über den längsten Teil des Jahres, sodass ich nur wenig Heu zukaufen muss.
Thomas wohnt einige Dörfer weiter, er hält dieselbe Rasse, lehnt es aber ab, Heu zuzukaufen, da er findet, man sollte nur so viele Schafe halten, wie man auch ernähren kann. Ich kann diese Logik durchaus nachvollziehen, es ist ein Schönheitsfehler in der Selbstversorgung, wenn man Heu kauft: Das Selbst bekommt Schlagseite. Man wollte ja gerade mal, wenigstens mit seinen Schafen, raus aus der Versorgungsgesellschaft, und nun muss man sich mit Futter versorgen lassen. Ich sehe es aber nicht so eng und kaufe im Winter ein, zwei Rollen von den Bauern in meiner Nachbarschaft. Anfangs habe ich auch noch selbst auf meiner Wiese Heu gemacht, der Aufwand ist jedoch, gemessen am Ertrag, recht groß, zumal die Schafe ja irgendwann vor der Mahd schon auf der Wiese gefressen haben und es danach wieder tun. Ich müsste also eine Teilfläche ganz von der Beweidung ausnehmen, dann wäre es ergiebiger. Das würde aber wiederum meinen Koppel-Umtrieb verkleinern und die Saison, in der ich kein Heu brauche, verkürzen. Und am Ende würde es doch nicht reichen.
Allerdings kam in jener Zeit, in der ich noch Heu auf meiner Wiese machte, ein Fernsehteam und filmte mich mit einem bekannten Schauspieler beim Heuwenden. Der Film handelte vom Oderbruch und lief oft im Fernsehen. Nun wurde mir von den alteingesessenen und erfahrenen Landleuten in meiner Nachbarschaft aufs Brot geschmiert, dass ich das Heu verkehrt gewendet hatte. Ich war rückwärts gelaufen, eigentlich macht man es aber vorwärts – oder umgekehrt, ich habe es vergessen. Die Freude war ihnen jedenfalls anzusehen, dass ich es nicht draufhatte. Ich habe es ihnen gegönnt, es war nicht böse gemeint und es stimmte ja auch.
Im Sommer hängt das zur Verfügung stehende Futter vor allem vom Regen ab. Jedes Kind weiß natürlich, dass Pflanzen Wasser brauchen, aber wenn man selbst darauf angewiesen ist, staunt man doch, welch existenzielle Schwere diese simple Wahrheit bekommt. Die letzten beiden Sommer erlebten jeweils so ausgedehnte Dürrezeiten, dass die Schafe wirklich ärgerlich wurden. Sie standen auf einem gelbverbrannten Rasen und blökten und ich wusste nicht, was ich tun sollte. Ich probierte es mit einem Rasensprenger, aber man kann sich gar nicht vorstellen, wie viel Wasser man braucht, um auf einer halbwegs ausgedehnten Wiese gegen eine Dürre anzugießen. Der Effekt des Wässerns oder spärlicher Regenfälle hängt zudem vom Boden ab. Unsere Wiese wird von einer ganz scharfen Linie durchschnitten: Auf einer Seite ist der Boden sandig, auf der anderen lehmig. Die sandige Seite ignoriert geringe Wassermengen, sie scheinen dort einfach zu versickern oder in der Hitze zu verdampfen. Auf der lehmigen Seite ist es besser, da kann sich die Grasdecke schon bei etwas Feuchtigkeit ganz gut erholen.
Jedenfalls ist es in den letzten beiden Sommern mit dem Gras für die Schafe eng geworden. Im Sommer mit Heu zuzufüttern, das fühlt sich komisch an. Die Schafe verstehen das Konzept auch nicht, sie scheinen zu wissen, dass es nicht die Zeit für Heu ist. Und ich denke: Heu ist doch für den Winter, wo führt das hin, wenn man es schon im Sommer verfüttert, das ist ja wie im Sommer seine Brennholzvorräte zu verheizen! Also rupfte ich anderswo Gras und wilde Möhre, um die Schafe zu besänftigen. Sie hatten Gefallen daran, aber es nervte auch, dass sie mich von nun an immer anblökten, wenn sie mich auch nur von weitem erblickten, ich war ja der mit dem Grünfutter. So war ich wirklich froh, als es dann endlich doch regnete. Und ich staunte, wie schnell sich eine Wiese erholt, wenn es mal ordentlich gießt. Das ist wunderschön und macht einen richtig glücklich.
Meine Nöte mit dem Futter sind eine kleine, hobbymäßige Erfahrung, nichts Lebenswichtiges. Aber ich habe durch sie doch verstanden, wie es den Landwirten oft zumute ist. Wenn die Saat nicht aufgeht, weil es zu trocken ist. Oder wenn die Saat ankeimt, dann aber verdorrt und man tausende Euro verloren hat, weil die Pflanzen auch später nicht mehr aufgehen können. Oder wenn es einem auf dem jungen Halm geradezu verbrennt. Wenn man für die Tiere kein Futter mehr hat oder man seine Vorräte vor der Zeit verfüttern muss. Ich kenne keinen Beruf, der diesen Faktoren so stark ausgesetzt ist, wie jenen des Landwirts. Seit ich auch nur diese klitzekleine Erfahrung mit meinen Schafen habe, ist mein Respekt vor den Landwirten erheblich gestiegen. Die tragen schon was weg und ich staune immer, wie gelassen sie mit mir sprechen, wie wenig sie übers Wetter jammern, selbst dann, wenn es wirklich schlimm ist. Nein, ich staune nicht, ich bewundere das.
Unsere Wiese ist mit Zäunen in drei Teilflächen unterkoppelt. Haben meine Schafe eine davon abgefressen, treibe ich sie auf die nächste. Das ist ein schönes und einfaches Prinzip, es klingt nach einem Karussell. Aber auch das habe ich unterschätzt.
Da sind einmal die Disteln. Sie rücken vom Rand her immer weiter in die Wiese hinein und es ist nicht leicht, sie in Schach zu halten. Dort, wo die Böden schwach sind, spielen sie keine Rolle, aber in den lehmigen Bereichen legen sie richtig los. Inzwischen gehe ich jedes Frühjahr mit einem Spaten los und steche sie aus. Man muss es rechtzeitig machen, bevor sie ihre tausenden fliegenden Samen ausbilden. Aber das dauert und man übersieht die jungen Disteln auch leicht. Ich mag mir eine solche Arbeit nicht auf größeren Flächen vorstellen. Bei uns sind es drei Morgen, bei drei Hektar wäre es aus. Auch diese Erfahrung hat mich in meinem Urteil über die landwirtschaftliche Praxis vorsichtiger gemacht. Distelnstechen, das hat früher schon niemand gern gemacht, aber es ging nicht anders. Heute ist die Verurteilung von Agrarchemikalien dort am lautesten, wo man diese leidige Aufgabe am wenigsten kennt und sich ihr am leichtesten entziehen kann. Ich sage nicht, dass ich fürs Spritzen bin, ich sage nur, es ist keine Lappalie, Pflanzen, die man nicht will, auch loszuwerden.
Denn ich will eine schöne Wiese für meine Schafe haben, in der Gras und Kräuter wachsen, nicht nur Brennnesseln, Disteln und Klebkraut. Und das macht sich nicht so von alleine. Werden die Schafe umgetrieben, hinterlassen sie keinen saftigen kurzen Gänserasen, wie man sich das vielleicht wünschen würde, nein, sie haben alles verknabbert, was ihnen schmeckt, den Rest lassen sie stehen. So eine abgegraste Wiese sieht gerupft aus. Die Blumen haben ihre Blüten hergeben müssen, ihre Stängel aber starren in den Himmel und bei den Schafen unbeliebte Kräuter übernehmen die Herrschaft. Nun ja.
Aber wer nun meint: Dann wartet man eben, bis das schöne Grün wieder nachschießt, sieht sich wiederum getäuscht. Natürlich erholt sich eine Wiese nach der Beweidung. Aber wenn man bis zum nächsten Umtrieb wieder frisches Futter haben will, sollte man nachmähen. Durch die Nachmahd wird der Aufwuchs des erwünschten Grüns enorm gefördert, während eine Wiese, die nicht nachgemäht wird, oft monatelang ratlos vor sich hin döst. Das mag ökologisch wertvoll sein, aber für einen Schafhalter ist es unbefriedigend, für die Schafe auch. Ich weiß nicht genau, woran es liegt, es könnte mit der Kapillarwirkung der abgebissenen Halme zu tun haben – als steckten lauter kleine Röhren im Boden, durch die das wertvolle Wasser in den heißen Sommer entweicht. Jedenfalls bleibt er seltsam trocken und ausgelaugt. Diese Verhältnisse nutzen der Distel, nicht dem frischen Halm. Also einmal alles nachmähen, dann geht es auf der Wiese auch von vorne los.
Alles nicht so einfach und schon gar nicht so, wie es das Gerede über gute und böse Bauern uns weismachen will.