Heizen und beheizt werden

Die EUGAL-Trasse im Jahr 2020 im Oderbruch. Hut ab, muss man sagen.

Nach zwanzig Jahren sind die alten Eichenpfähle dann doch mal durchgefault. Sie legen sich in den Wind, der Zaun hängt schief. Ich repariere sie nicht alle auf einmal, sondern ersetze sie Stück für Stück durch Robinienpfosten, die halten nochmal so lange. Das alte Eichenholz säge ich für den Ofen auf, es hat nach all der Zeit, verwittert und vergraut wie es ist, immer noch einen enormen Brennwert. Auch altes Obstgehölz ist zum Heizen sehr gut geeignet. Ist ein Apfelbaum abgestorben, wandert er meist in den Ofen, für die Insekten gibt es in meinem Garten genug Totholz. Ich verschmähe auch morsche Balken aus repariertem Fachwerk nicht, obwohl es mich ärgert, wenn ich mit der Säge in einen alten Nagel gerate und sie stumpf wird. Als am Schlafdeich die alten Pappeln gefällt wurden, habe ich mir dort auch zwei, drei Anhänger voll geholt und das Holz aufgesägt. Weichholzarten wie Pappel und Weide machen natürlich im Ofen nicht so viel her und hinterlassen viel Asche. Aber ich nutze sie trotzdem und freue mich darüber, wenn ich das Haus auch mit diesem Holz hübsch warm kriege.

Unterdessen hat mir Herr Ziegel angeboten, in seinem kleinen Wald etwas Brennholz zu machen. Dort läge genug herum, man müsse es sich nur heraussägen. Also habe ich mir eine Benzinkettensäge gekauft, ich kann ja nicht im Wald mit einem Kabel herumrennen. So hat man sein Tun.

Ich erzähle das aus einer absolut weichgespülten Lage, denn wir haben eine Pelletheizung im Haus, sind also auf Brennholz gar nicht so angewiesen. Durch die Öfen können wir aber die Heizung flacher fahren. Immer dann, wenn wir mehr Wärme benötigen, heizen wir die Öfen an. Das moderne Landleben hat den Vorteil, dass man die Praktiken mischen kann, Zentralheizung im Haus plus Holzofen, das ist die Kombination zweier Welten. Nicht alle können das so handhaben, aber ich will darauf hinaus, dass auch innerhalb der Versorgungswelt kleine und beschränkte Selbstversorgungspraxen möglich und sinnvoll sein können, und dass sie einem eine Menge zu denken geben.

Da ist zunächst das Phänomen der Vorratswirtschaft: Man muss sich beizeiten kümmern, bei frischem Brennholz sogar zwei Jahre im Voraus, damit es trocknen kann. Dann hat man eine sinnlich leicht erfassbare Menge an Energieträgern auf dem Hof. Nun sieht man, wie diese Menge im Verlaufe des Winters abnimmt, also wird der Verbrauch angepasst, denn man möchte auf jeden Fall in das warme Frühjahr kommen. Und dann geht die Wiederauffüllung der Vorräte von vorn los. Diese zyklische Erfahrung ist nicht dumm. Sie ist vielleicht trivial, aber ich schätze sie. In ihr stecken Wertschätzung, Sparsamkeit, Vorausschau, Überlegung.

Dann haben wir die Aktivität, die das Ganze erfordert. Die Brennholzwerbung jedenfalls hält einen immer in Schach. Man muss sich in der Gegend umschauen, günstige Gelegenheiten erkennen, im richtigen Moment zuschlagen – der Horizont des eigenen Gartens wird also ständig überschritten. Außerdem muss man Technik vorhalten, diese instandhalten und pflegen. Und man hat auch körperlich hübsch zu tun mit Hacken und Stapeln und Sägen und Heizen. Als Kind habe ich noch alte Frauen mit einer Kiepe auf dem Rücken im Wald angetroffen. Man sollte das nicht idealisieren, diese Frauen waren sicher arm und sie mussten bei Wind und Wetter raus, um für ihren Küchenherd etwas Brennholz aufzuklauben. Aber sie strahlten eine seltsame Zähigkeit und Wachheit aus, die sich mir eingeprägt hat.

Brennholzwerben, das ist in vielen Fällen auch Kommunikation. Man kann mit Nachbarn zusammen in den Wald ziehen, sich um Hilfe bitten, sich auch gegenseitig Hinweise geben, wo es etwas zu holen gibt. Die Subsistenzwirtschaft ist kein autarkes Herumpusseln, sie ist auch Kooperation und Gespräch.

So erkläre ich es mir, dass arme Menschen auf dem Land oft einen aufgeweckten Eindruck auf mich machen. Und das scheint mir auch historisch bestätigt zu sein. Es gab in den sechziger Jahren sehr viele Bildungsaufsteiger aus armen Landfamilien in akademische Höhen. Wie haben sie das geschafft? Natürlich hatten diese Kinder eine Schule besucht und vielleicht war die Schule damals ziemlich gut, das könnte man zumindest denken, wenn man in sechzig Jahre alte Schreibhefte guckt. Aber ich glaube, es lag vor allem an der geistigen und körperlichen Regsamkeit, die die Selbstversorgung ihnen abverlangt hat.

In meinem Umfeld fahren derzeit große Bagger auf den Feldern und schieben Erde über die Trassen, in denen seit vier Jahren die Pipelines verlegt wurden. Es handelt sich um die EUGAL-Trasse, die Europäische Gasanbindungsleitung, die von der Ostsee bis nach Tschechien reicht. Ihr Bau war für mich eine überwältigende Aktion. Ein Jahr lang fuhren Schwerlastträger durch die Dörfer und brachten tausende riesiger schwarzer Rohre zu Lagerplätzen, die nachts mit hellem Flutlicht bestrahlt wurden. Dann waren überwiegend Arbeiter aus Italien am Werk, denn die einzelnen Bauabschnitte wurden in Losen an international agierende Unternehmen vergeben. Sie schoben die Trasse frei, häuften den Mutterboden zu großen Wällen auf und brachten große Fließe und Tragschicht aus, um eine Fahrspur anzulegen. Anschließend gruben sie mit unzähligen Maschinen, die eine extraterrestrische Operation vermuten ließen, Gräben für die Rohre, die dann parallel zu ihrem Verlauf angeordnet, je nach Krümmung des Grabens gebogen und in längeren Strecken verschweißt wurden, sodass man sie abschnittsweise in die Erde rutschen lassen konnte. Diese wiederum wurden dann in den Gräben miteinander verbunden. Es passte alles zusammen. Unter den Straßen wurde teilweise getunnelt, wirklich überwältigend war aber die Unterquerung der alten Oder: Angeblich musste an unserer Stelle 48 Meter tief gegangen werden! Da das Oderbruch nur knapp über dem Wasser liegt, wurde jahrelang abgepumpt, überall standen riesige benzinbetriebene Aggregate, die mit blauen Schläuchen und schwarzen Rohren verbunden waren. Nach einiger Zeit sahen diese Bautrassen, die von der Ostsee an meinem Haus vorbei bis zu meiner Freundin Elli nach Sachsen reichten, wie schmale Wüstungen aus. Der Boden war karstig, rostig und ausgetrocknet und übersät von zerquetschten Drainrohren, Flaschen, zerfetzten Kunststoffseilen und leeren Zigarettenschachteln.

Wie immer man dieses Energieprojekt und den nicht eben erfreulichen Eingriff in die Landschaft beurteilt, es war eine technologische Großleistung. Ich kann denen, die sie gestemmt haben, meinen Respekt nicht verweigern. Es ist kaum zu fassen, mit welcher stoischen Kraft und ingenieurtechnischen Kühnheit diese Maßnahme vierhundert Meter von meinem Garten entfernt abgelaufen ist, über Jahre. Der Aufwand war so schwindelerregend, dass mir zum ersten Mal klar wurde, wieviel Geld mit Energie verdient wird.

Auf jeden Fall löst das Ganze bei mir keine Aktivität aus, außer vielleicht dermaleinst für das Gas einen Preis zu entrichten. Es ist eine große zivilisatorische Leistung, die auf die Versorgung der Menschen gerichtet ist und natürlich nicht darauf, dass diese sich selbst versorgen. Ich beklage das nicht, wir leben in einer Versorgungsgesellschaft, und die meisten Menschen wohnen in den Städten. Aber der Unterschied zur Selbstversorgung gibt mir doch zu denken. In dem einen Fall akkumuliert ein großer industrieller Komplex alles Wissen, alles Vermögen und das Kapital, um die anderen zu versorgen. Diese anderen – wir – sind Empfänger, wir werden freigesetzt, müssen uns um nichts kümmern und haben es warm. Das ist ungeheuer praktisch und es ist auf eine seltsame Art flach:  Wir konsumieren, haben aber keine Beziehung mehr zum dahinter liegenden Prozess.

Man kann die frei gewordene Zeit natürlich nutzen, um etwas anderes zu machen, um Gedichte zu schreiben, zum Beispiel. Meiner Erfahrung nach entstehen Gedichte aber eher beim Holz machen – im Kopf zunächst, und später kann man sie aufschreiben.

25. April 2021