Dass es auf dem Land weniger Einkaufsmöglichkeiten gibt als in der Stadt, ist allgemein bekannt und mit bloßem Auge leicht erkennbar. Tritt man zum Beispiel aus meinem Haus, kann man sich noch so sehr anstrengen und sogar ein Fernglas zu Hilfe nehmen, man wird keine Geschäfte finden. Versorgen kann man sich dennoch.
Die meisten Lebensmittel erhalten wir in den Supermärkten der benachbarten Kleinstädte und im Hofladen der Schiffmühler Agrogenossenschaft, den wir zwei- bis dreimal die Woche aufsuchen, denn dort gibt es die Milchprodukte einer regionalen Molkerei. Wein kaufen wir gern beim Hahn im Glück in Letschin, das beste Bier gibt es beim Barnimer Brauhaus in Niederfinow und dann gibt es noch den Regionalwarenladen Oderbruchware in Freienwalde. Eier legen unsere Hühner, den Hähnen und den Schafen verdanken wir gutes Fleisch. Der Anteil an Zwiebeln, roten Rüben, Kartoffeln, Lauch, Bohnen, Mangold, Möhren und Obst aus dem eigenen Garten am Jahresbedarf ist recht hoch, in guten Jahren kommt noch Honig dazu. Außerdem bekommen wir immer wieder Angebote aus der Nachbarschaft: Birnen, Nüsse, Rind, Schwein und Ente. In Freienwalde gibt es sogar noch einen Buchladen. Das ist schon mal eine ganze Menge.
Aber als moderner Mensch braucht man auch Büromaterial, Werkzeug und Geschenke, Schuhe, Elektrodinge und Kleidung. Da wird es hier schon schwieriger, zumindest hinsichtlich Auswahl und Entfernung. Ich fahre nicht so gern nach Berlin, um dort einzukaufen, zumal ich mich dort immer schlechter auskenne. Also muss ich mich immer neu entscheiden, ob ich mich zum Einkaufen in Bewegung setze oder die Sachen übers Internet bestelle.
Derzeit erübrigen sich Abwägungen dieser Art, denn im aktuellen Ausnahmezustand wurden große Bereiche des Einzelhandels geschlossen. Da bleibt nun wirklich nur die Bestellung der Waren per Internet. Das geht einfach und schnell und inzwischen bin ich auch nicht mehr allzu zimperlich, was Retouren anbetrifft.
Die Bestellungen werden uns von mindestens sechs verschiedenen Lieferdiensten ins Haus gebracht. Da ist erstmal die gute alte gelbe Post, gefolgt von ihrer Tochter (oder Mutter) DHL (die Beziehung ist mir unklar). Dann gibt es die Lieferwagen von DPD, die irgendwie zur französischen Post gehören sollen, außerdem den amerikanischen United Parcel Service und den motorisierten Götterboten Hermes, der wohl etwas mit dem alten Otto-Versand zu tun hat. Neuerdings hat sich Amazon scheinbar einen eigenen Lieferdienst aufgebaut, um das Lohngefälle zum benachbarten Polen auszunutzen. Habe ich was vergessen? Nun ja, für Briefe gibt es inzwischen auch verschiedene Unternehmen, da kommt also noch der City-Brief-Bote vorbei. Und dann gibt es Speditionen für bestimmte, mehr individuelle Lieferungen. Jedenfalls rumpeln all diese Lieferdienste tagein, tagaus über unseren schlechten Feldweg, um uns Dinge zu bringen.
Das ist mir peinlich. Ich denke an das viele Benzin und den Verschleiß der Autos. Außerdem sehe ich, dass die Lieferanten sehr lange Arbeitstage haben und ich vermute, dass sie schlecht bezahlt werden. Da ich derzeit viel zu Hause bin, tritt mir das Drama, das sich in der Logistikbranche abspielt, erst richtig vor Augen. Da draußen ist die Hölle los. Warum das alles? Warum hatte man damals Postmonopol abgeschafft? Einmal am Tag ein gelbes Auto für alles, was war so falsch daran? Richtig, man wollte den Wettbewerb anregen. Das sollte Arbeitsplätze schaffen und die Lieferungen für die Kunden günstiger machen.
Und, ist es aufgegangen? Ich habe keine Zahlen. Wer weiß, was herauskäme, würde man die in der Post in den letzten Jahrzehnten abgebauten Arbeitsplätze mal gegen die neu entstandenen Jobs bei den anderen Diensten halten. Die Einkommen aller Beschäftigten werden wahrscheinlich gegenüber der alten Staatspost nicht besser geworden sein. Aber die Kosten für mich, als Kunden?
Da muss man unterscheiden zwischen dem, was ich – erstens – selbst für den Versand von Paketen oder Päckchen bezahlen muss und dem, was mich – zweitens – die Anlieferung einer Bestellung kostet.
Zum Ersten: Das Porto bei der Deutschen Post ist in den letzten Jahren erheblich gestiegen. Wir haben einen kleinen Verlag, da spürt man das. Die Büchersendungen sind abgeschafft, das Verschicken von Büchern geht richtig ins Geld. Als kleiner Gewerbetreibender mit geringem Umsatz habe ich aber kaum einen anderen Weg als den des normalen Postdienstes. Die großen Unternehmen mit vielen Lieferungen können Sonderkonditionen mit den vielen Logistikunternehmen aushandeln, die sich ihnen anbieten, sie zahlen für eine Büchersendung bestimmt keine zwei Euro siebzig. Insofern haben von der Abschaffung des Postmonopols wahrscheinlich nicht jene profitiert, die geringe Mengen zu versenden haben. Die also, die man „die Kleinen“ nennt.
Aber – zweitens – als Empfänger, da profitiert man doch, oder? Nun ja, das hängt von der Perspektive ab. Der beschleunigte und kontaktlose Konsum wird immerhin begünstigt. Und es hat noch einen weiteren Effekt: An der reibungsarmen Bedürfnisbefriedigung können nicht mehr alle möglichen anderen Leute mitverdienen, indem sie den Einkaufsbummlern ein Eis verkaufen, ein Lied an der Straßenecke vorsingen oder ein paar Cent erbetteln. Denn wir bleiben einfach zu Hause und lassen uns versorgen, womit uns auch immer gerade zumute ist. Sofern wir es uns leisten können.
Aber diese Entwicklung ist sicher ein blanker Zufall. Auch die in den letzten Monaten erzielten riesigen Marktgewinne der Internetkonzerne gegenüber dem Einzelhandel sind bestimmt einfach so zustande gekommen, ganz aus Versehen. Jeder, der etwas anderes sagt, sollte in sich gehen und keine Zwietracht säen. In der Welt des Jahres 2021 gibt es keine Interessen mehr, es gibt nur das Wohl aller. Wer etwas anderes sagt, verhält sich unsolidarisch.