Da draußen, in der Provinz

Sascha ruft an: Wir haben eine Absage bekommen. Es ist seit Jahren das Gleiche. Ich ärgere mich, aber von vorn.

Wir veranstalten in Eberswalde ein kleines internationales Filmfest. Es trägt den Namen „Provinziale“, weil es aus der Provinz heraus gedacht ist: Der Mensch lebt nicht im luftleeren Raum, er lebt unter konkreten landschaftlichen Bedingungen, die er selbst durch seine Aneignung verändert. An dieser Dialektik sind wir interessiert und verfolgen sie in vier Wettbewerben. Ich gehöre zur Auswahlgruppe der langen Dokumentarfilme. Jedes Jahr laden wir bis zu 60 Filme zur Sichtung ein und nominieren dann acht Beiträge für den Wettbewerb. Es ist ein sorgfältiges Festival. Wir moderieren selbst, stellen den Filmemachern unsere ureigensten Fragen und bemühen uns, sie gut zu betreuen. Wir nehmen jeden Film ernst, und jeder Film, den wir auswählen, ist für uns ein ernsthafter Kandidat für den Preis.

Ach, die Preise. Eigentlich sind wir gar nicht mehr sicher, ob wir Preise verleihen wollen. Denn was ist das: der beste Film? Darüber denken wir viel nach und suchen immer wieder das Gespräch mit dem Publikum, das, von einem Sonderpreis abgesehen, derzeit unsere einzige Jury bildet. Würde man bei einem Musikfestival Preise vergeben? Doch wohl nicht. Warum dann bei Filmen? Weil der Erfolg gemessen werden will. Filme gehören, zum Teil jedenfalls, in die Welt der Wirtschaft.

Und das merken wir dann an den Absagen. Denn fast jedes Jahr ziehen sich von den eingeladenen Filmemachern ein bis zwei schließlich zurück. Sie haben den Film zwar erst eingereicht, aber dann schauen sie, ob es nicht noch populärere Festivals gibt, bei denen ihr Film erfolgreicher platziert wäre. Sie warten ab, zögern die Antwort hinaus, zocken, antworten unklar, und dann sagen sie ab. Ähnlich verhalten sich auch die Produktionsfirmen und sogar manche Hochschulen, die natürlich das Bestmögliche für ihre Leute herausholen wollen. Denn die größeren Festivals beanspruchen für sich, dass bei ihnen nur Premieren laufen dürfen. Nun ja. Es steht jedem frei, seine Bedingungen zu stellen, und es steht jedem frei, sie zu erfüllen oder abzulehnen. Warum ärgere ich mich, warum ärgern wir uns dennoch immer aufs Neue? 

Ich meine, es geht um eine Entscheidung, die auf eine einfache Frage folgt: Mit wem gehe ich in Resonanz, mit wem nicht? Ich habe mein Leben lang danach entschieden, ob das Interesse der anderen an mir und meiner Arbeit ehrlich und offen schien. Wenn jemand eine Tür öffnete und ich Zeit und Interesse hatte, sie zu durchschreiten, dann habe ich es getan. So habe ich es gelernt, von meinen Eltern, auch in der Schule. Berechne nicht, was der andere dir bringt, schau ihm in die Augen, oder, wenn du es vermagst, ins Herz. Dann entscheide.

Aber schon im Studium stieß ich auf die andere Logik: Prüfe, was der andere dir bringt, welches soziale und kulturelle Kapital er dir anzubieten hat, sonst kommst du nicht voran. Taxiere, messe. Wer nichts zu bieten hat, von dem wende dich ab! Ich kann noch heute die verstörenden Momente aufzählen, in denen ich damals begriff, dass sich viele Studenten untereinander – und erst recht ihren Dozenten gegenüber – nach diesem Prinzip begegneten.

Ja, was soll man sagen? Die Spielregeln sind nun einmal so, warum sollten sie für junge Filmemacher nicht auch gelten, und warum sollten diese nicht die bessere, die größere Chance nutzen?

Weil diese Erfolgslogik aus der Kultur einen Opportunismus macht. Kultur ist nicht die Hierarchie des Erfolgs, sie ist die gelingende Interaktion. Auf diese kommt es an, sollte es ankommen.

Und also werden wir jedes Jahr wieder daran erinnert, dass wir in der Welt des Films zwar geduldet sind, aber niemals mitspielen werden. Und umgekehrt wird die Wirtschaftswelt des Films unser Verhalten als eine tägliche Bestätigung dafür sehen, dass das dies auch genau der richtige Platz für uns ist: Da draußen, in der Provinz.

Nun, dann ist es so, und vielleicht ist es besser so. Aber wir werden dort weiterhin Filme zeigen, und wir laden alle ein, zu kommen, zu schauen und mit uns zu sprechen. Auch jene, die meinen, woanders wäre mehr zu holen. Das wollen wir erst mal sehen.

12. August 2024