Wir haben in Myrthe Jentgens Beschreibung gelesen, dass der Beruf des Landwirts heute in einer Gesellschaft ausgeübt wird, die das Wesen dieses Berufes nicht versteht und seine Ausübung mit ihren Verordnungen (übrigens auch mit ihren Förderungen) behindert und einschränkt. Aus der Sicht eines Landwirts ist die Politik eine Belastung. Ich habe noch keinen Landwirt über den Rationalisierungsdruck in der modernen Landwirtschaft klagen hören, dafür aber umso mehr Zorn, Wut und Verzweiflung gegenüber den Verordnungen, Kontrollen und Auflagen gehört.
Das ist insofern bemerkenswert, als die Globalisierung der Nahrungsmittelmärkte durchaus Schieflagen und Ungerechtigkeiten erzeugt. Das zwanzigste Jahrhundert ist eine einzige Geschichte von Bauern, die ihren Hof mit einem geringen Flächenumfang und seine traditionelle Wirtschaftsweise aufgeben mussten. Diese Geschichten sind voller Depressionen und Suizide, sie berichten jedenfalls von unendlich vielen Abschieden aus einer geliebten Lebensweise. Dass die Landwirte dennoch keine Planwirtschaft fordern, in der sie Abnahmegarantien und sichere Preise erhoffen könnten, verweist auf die Wurzel des bäuerlichen Lebens in der Subsistenzwirtschaft: Der Bauer sichert seinen Selbsterhalt durch das Bestellen des Ackers und die Aufzucht von Tieren. Und er tut dies selbst, kraft eigenen Vermögens. Ich möchte diese Aussage ein wenig ausdifferenzieren, um zu schauen, ob in ihr vielleicht Antworten auf die Frage liegen, warum so viele von ihnen trotz des gesellschaftlichen Unverstands, dem ihre Arbeit ausgesetzt ist, trotzdem weiterarbeiten und ihre Arbeit lieben.
Da ist zuerst das doppelte handwerkliche Vermögen des Bauern. Der Boden ist ein Individuum, kein industrielles Substrat. Er ist heterogen wie ein Stück Holz oder ein Naturstein. Zudem ist er den unberechenbaren Wechseln des Wetters ausgesetzt und dadurch nie im gleichen Zustand. Der Tischer arbeitet in seiner Werkstatt, sein Werkstoff, das Holz, ist getrocknet und zur Ruhe gekommen. Der Acker aber verändert sich mit jedem Sonnenstrahl, mit jedem Regen, mit jeder Brise. Feldbau ist ein Tanz zwischen Raum und Zeit. Die Fruchtfolge, der richtige Eingriff und der richtige Zeitpunkt sind das Ergebnis einer Abwägung, die anschließend unmittelbar in eine praktische Handlung übersetzt werden muss. Das ist nichts Äußerliches, es findet im Inneren des Landwirts statt. Landwirt sein heißt, Können, Erfahrung und Beobachtung in eine Komplexität zu überführen und diese Komplexität zu beherrschen.
Dass der bearbeitete Boden ein Prozess ist, beeinflusst wiederum den Landwirt in seinem Selbstverständnis. Der Boden liegt nicht einfach so da draußen herum, er ist ewige Bewegung, Veränderung, im besten Falle immer weitere Verbesserung. Die Teilhabe an diesem Prozess begründet die Bindung des Landwirts an seine Ressource, sie ist kein Anachronismus, sondern etwas Wesentliches: Man ist selbst Teil eines lebendigen Bewirtschaftungssystems. Dieses System basiert auf natürlichen Wirkungszusammenhängen, aber es ist, im Gegensatz zum bewirtschafteten Wald, ganz und gar künstlich. Eigentlich ist es gar nicht möglich, sich selbst aus diesem System wegzudenken. Ich stelle mir vor, dass ein Landwirt im Krankheitsfall vor eine schwierige Entscheidung gestellt wird, weil er sich aus der Bewirtschaftung des Bodens nicht herausnehmen kann. Er ist gebunden, wie ein Organ in einem Organismus. Verkommt der Boden, verkommt auch er, jedenfalls in seiner Identität als Landwirt.
Ähnliche Bindungen entstehen auf der Ebene der Tierhaltung. Das Tier gehört dem Landwirt nicht wie ein Konsumgut, es ist Leben, Ressource, die bewirtschaftet wird. Und es ist eine Kreatur, seine Geburt und sein Gedeihen liegen in den Händen des Halters. Wie auch im Feldbau führt die Nutzung der Natur hier in eine spezifische Bindung. Denn auch die Haltung von Tieren ist ganz und gar künstlich, also steht man in einer totalen Verantwortung. Füttern, gesundheitliche Betreuung und Sauberkeit, kontinuierliche Beobachtung und Abwägung: Es geht nicht darum, tierisches Leben zu besitzen, sondern mit diesem Leben in einem gemeinsamen Prozess zu stehen. Auch aus diesem Prozess kann man sich selbst nicht wegdenken.
Diese Aspekte beschreiben eine Bindung des Landwirts an seine Ressource, der kaum zu entrinnen ist. Man erhält sich selbst, indem man arbeitet, und man tut dies in Verantwortung und auf eigene Verantwortung. Das mag ein wenig erklären, warum Landwirte auch dann oft weitermachen, wenn es eigentlich nicht gut läuft: Sie kommen aus dem lebendigen Komplex, den sie selbst täglich neu schaffen, gar nicht ohne weiteres heraus. Denkt man sich die Stoffkreisläufe zwischen Stall und Feld hinzu, denkt man auch an die Mitarbeiter des Betriebes, für die man in der Pflicht steht und schließlich auch an die Maschinen, die gewartet und abbezahlt werden müssen, vervollständigt sich das Bild.
Es gibt jedoch neben der handwerklichen Leidenschaft und der subsistenzwirtschaftlichen Bindung noch eine dritte Komponente, die meiner Überzeugung nach darüber hinaus geht: Landwirte machen Essen. Sie tun vielleicht das Wichtigste, was ein Mensch überhaupt tun kann, sieht man vielleicht von der Sorge für die Kinder ab. In einer Gesellschaft der vollen Supermarktregale wird diese einfache Einsicht übersehen, nicht wenige Landwirte ertappen sich sicher insgeheim manchmal dabei, sich auch einmal wieder andere Verhältnisse zu wünschen, in der ihre Arbeit und ihr Beitrag zum Leben aller mehr geschätzt wird. Aber ich bin überzeugt davon, dass der sinnstiftende Triumph, kraft seiner handwerklichen Fähigkeit ein eigenes lebendiges landwirtschaftliches System zu schaffen und damit etwas zu tun, das schlechthin menschlich ist, das unsere Gattung geprägt und in gewissem Sinne erst ermöglicht hat, auch heute von den meisten Landwirten empfunden wird, wenn auch auf eine wortkarge Weise. Wortkarg sind die Landwirte hinsichtlich ihrer anthropologischen Sonderrolle weniger, weil sie vielleicht keine Worte für diese Empfindung haben. Nein, ich denke eher, dass es eben ihren Stolz ausmacht, ein Bewusstsein davon in sich zu tragen und es nicht zu Markte zu tragen. Zu Markte muss man ja nun schon seine Produkte tragen, den Rest behält man lieber für sich.
Ich kann aus meinen Gesprächen mit Landwirten sagen, dass man ihnen durch Interesse und Neugier nicht nur Anerkennung zollt, sondern auch selbst an die wesentlichen Dinge des Lebens herangeführt wird. Ich habe keinen Ausweg aus der Klemme, in der die Landwirte stecken. Aber ich habe mir im letzten Jahr gern einen Tag frei genommen, um sie zu den Protesten nach Berlin zu begleiten, und ich denke manchmal, in einer lebensfeindlichen Gesellschaft, die allen immer mehr die Luft zum Atmen nimmt, kann man mit ihnen gemeinsam vielleicht wieder Luft holen, indem man zu ihnen in Beziehung tritt. Das ist keine Lösung, aber es ist ein Weg. Ein Feldweg, ein schöner allemal. Links und rechts steigen die Lerchen auf und dort – dort hoppelt ein Hase.
Von Kenneth Anders ist zuletzt im Aufland Verlag erschienen: