„Du musst jetzt bitte sofort aufhören, die Drille hat einen Schaden und wir verspielen sonst das ganze Wasser!“ Mein Mann ist zu einem sonntäglichen Kaffeetrinken hereingekommen und redet nun aufgeregt in das Telefon hinein. Anscheinend ist etwas an der Sämaschine kaputt gegangen und das bedeutet, dass der andere Mitarbeiter, der vorweg pflügt, ebenfalls sofort aufhören soll. Ich bin irritiert und frage, warum die Fläche nicht fertig gepflügt werden darf, auch wenn erst am nächsten oder übernächsten Tag weiter gesät werden kann. Und warum er den Acker überhaupt jetzt erst pflügen lässt, so knapp vor dem Säen. Mein Mann antwortet, er müsse seit Wochen Wasser sparen, um die Saat noch in eine Restfeuchte legen zu können. Mit jeder Bearbeitung verliere man Wasser, vor allem mit dem Pflügen. Auf manchen Flächen lohne sich momentan sogar das oberflächliche Fräsen, um die Kapillarität zu unterbrechen. Er redet immer weiter, während wir, wie gesagt, Kaffee trinken. Offenbar hat er auch zu diesem landwirtschaftlichen Thema ganze Vorträge im Kopf.
Unsere fünfköpfige Familie lebt von der Landwirtschaft. Mein Mann ist einer von drei Betriebsleitern in einem mittelgroßen Bioland-Betrieb. Er bewirtschaftet um die 800 ha Ackerland und knapp 200 ha Grünland, mit ca. 15 Mitarbeitern und bis zu zwei Dutzend Saisonkräften. Und ich selbst arbeite als landwirtschaftliche Hilfskraft in einem benachbarten Milchziegen- und Kartoffelbetrieb. Damit sind wir Teil einer Bevölkerungsgruppe, die etwa zwei Prozent der Gesamtbevölkerung ausmacht. Rechnet man allerdings die Wirtschaftszweige mit ein, die sekundär mit der Landwirtschaft zusammenhängen, wie etwa Landmaschinentechnik oder Veredelung, Lagerung, Verpackung, Distribution oder Vermarktung von heimischen Lebensmitteln, sind es natürlich viele Prozente mehr, deren Existenzgrundlage auf unseren landwirtschaftlich genutzten Böden beruht.
Diese Böden nun sind eine sehr lebendige Angelegenheit. Nicht nur was die konkrete Anwesenheit von Bakterien und sonstigen Lebewesen angeht, sondern auch in der Zeit. Man könnte über jede Ackerfläche eine Biografie schreiben, in der es nicht an Ereignissen und Komplexität mangelt. Die Daten spiegeln eine Gemengelage aus biologischen und zivilisatorischen Prozessen, Wetterbedingungen, Viehbesatz, Fruchtfolge, bäuerlichen Entscheidungen und Fähigkeiten sowie verfügbarer Technik.
Das grundlegende Rüstzeug für diesen Beruf bekam mein Mann von seinem Vater. Stundenlang saß er als Kind neben ihm auf dem Trecker und begleitete aufmerksam alle landwirtschaftlichen Tätigkeiten. Später, als ich schon studierte, beobachtete ich während meiner Kurzbesuche, wie mein Zukünftiger mit seinem Vater über den Hof ging oder auf einer Ackerfläche herumstand und angestrengt zuhörte. Ich sah die beiden mitten im Getreide stehen oder auf freien Flächen hocken, mit einem Spaten im Boden oder einem Batzen Erde in der Hand. Der Vater redete und der Sohn war offensichtlich ganz Ohr.
Vieles von dem, was er damals lernte, ist mir bis heute schleierhaft. Aber ich weiß mittlerweile, dass es meistens um die Frage nach dem richtigen Zeitpunkt ging. Denn wir sind aufgewachsen in einer Region mit sogenannten Minutenböden. Eine obere Schicht aus fruchtbarem, schwerem Lehm grenzt unmittelbar an blanken Kalkstein. Es gibt keinen halb-fruchtbaren B-Horizont, den man über die Jahre in etwas Fruchtbares verwandeln könnte. Manche Felder schimmern weiß vor Steinen, wenn sie nach der Ernte oder im frühen Frühjahr ohne Bewuchs daliegen. Wegen dieser Böden kennen fast alle Arbeitsvorgänge nur ein Zeitfenster, das unbedingt erwischt werden muss, sonst sind die Folgen den Rest des Jahres und darüber hinaus spürbar.
So lernte mein Mann auch das große Glück kennen, zum richtigen Zeitpunkt mit einer richtigen Tätigkeit am richtigen Ort zu sein. Richtig war es, „wenn der Boden so schön von den Scharen gleitet“, als habe er im Grunde nur darauf gewartet, endlich umgedreht zu werden. Oder wenn er beim Eggen die richtige Körnigkeit hatte, nicht schmierte, aber auch nicht staubte. Oder wenn er beim Säen trocken genug war, um die Sämaschine und den Trecker gut zu tragen, gleichzeitig aber noch genügend Feuchtigkeit vorhanden war, um die Samenkörner von Anfang an versorgen zu können. Oder wenn das Gras oder das Getreide beim Mähen auf eine ganz bestimmte Weise zur Seite fiel, während das Mähwerk nicht verstopfte und der Trecker kein bisschen einsank. Und vor allem dann, wenn die passende Wetterlage so lange durchhielt, dass die ganze Arbeit geschafft werden konnte.
Auch beim Düngen handelte es sich immer um eine besondere Tätigkeit. Kuh-, Schaf- oder Ziegenmist bewirken im Boden Prozesse, die kein anderes Düngemittel bewirken kann. Selbst ein aufwändig hergestellter Top-Kompost erreicht nicht das, was der Mist der Wiederkäuer für die gesamte Bodengesundheit erreicht. Somit kann ein schöner Mist einem Landwirt manchmal wie Gold vorkommen.
Und auch das Güllefahren kennt seinen eigenen, genau richtigen Moment: Wenn winterlicher Nachtfrost den Acker für einige wenige Vormittagsstunden ausgehärtet hat, sodass Trecker und Güllefass gut getragen werden, und gleichzeitig kein strahlender Sonnenschein herrscht, der die Stickstoffverdunstung anregt – dann ist es gut. Der Boden taut über den Rest des Tages langsam ab, nimmt die Gülle auf und lagert sie ein, um sie im Frühjahr dem Pflanzenwachstum zur Verfügung zu stellen. Die ganze Aktion hat etwas Feierliches, weil sie mitten im Winter eine fast frühlingshafte Aktivität auf die Fläche und auf den Hof bringt, noch lange bevor der Frühling wirklich da ist.
Die Frage nach dem richtigen Zeitpunkt und der richtigen Bearbeitungsweise liefert Gesprächsstoff und Lernmaterial für ein ganzes Leben. Aus diesem Grund bildet sie auch einen „Lebensinhalt“, der in seiner Bedeutsamkeit für den einzelnen Menschen weit über das bloße Erledigen eines Jobs hinausgeht.
Es ist schmerzhaft, dass die Menschen, die uns verwalten und die die Vorschriften und Rahmenbedingungen diktieren, davon keinen Schimmer zu haben scheinen. Sie sitzen hinter Reißbrettern und entwerfen und verwerfen ganze Welten. Auch hier können wenige Beispiele womöglich einen kleinen Einblick vermitteln:
Das generelle Düngeverbot gilt bis zum 1. Februar und danach ist weiterhin das Düngen auf gefrorenen Böden verboten. Die ausgebrachte Gülle muss außerdem umgehend eingearbeitet werden, was oftmals zu einer heillosen Mantscherei führt.
Nur Ackerflächen, die im Frühjahr nicht gedüngt werden, dürfen gegen Ende des Jahres gepflügt werden. Die perfekte Frostgare, die die Bodenteilchen auch in tieferen Schichten voneinander löst, kann in keinem Acker entstehen, den man im November nicht pflügen durfte.
So mancher Acker wird im Frühjahr unter zu nassen Bedingungen gepflügt, weil es vor Monaten, als die Bedingungen gut waren, nicht erlaubt war. Die Folgen sieht man, je nach Boden, bis zur Ernte und darüber hinaus; im Untergrund, je nach Situation, auch über mehrere Jahre.
Auch beim Mistfahren werden die Gestaltungsräume immer weiter beschnitten. Die Mistmieten dürfen keinen einzigen Tag offen liegen, da drohen gleich die Anzeigen der „wachsamen Bürger“, mühsam müssen schwere Kunststoffvliese über alles gebreitet werden, die Wege müssen direkt nach dem Ausfahren gesäubert werden, während zu diesen Jahreszeiten überall die Arbeit nur so schreit. Der Mist muss ebenfalls innerhalb von einer Stunde eingegrubbert werden, während man vielleicht gerade an diesem etwas zufeuchten Frühlings- oder Herbsttag den Acker so gerne schonen würde, oder während unter Umständen und auf bestimmten Flächen das langsame Hineinarbeiten der Strohhalme durch die Regenwürmer von großem Vorteil wäre.
Machen wir das Fass mit den Sä- und Anbauverordnungen auf, so sieht es nicht anders aus. Das Gros der Regeln macht überhaupt keinen landwirtschaftlichen Sinn, bildet aber die Basis für die Vergabe von überlebensnotwendiger Prämie, die mittlerweile „Einkommensstütze“ genannt wird, was das Gefühl der Erniedrigung noch weiter verstärkt. Beispielsweise muss nach der Ernte einer Leguminose innerhalb von vier Wochen eine neue Saat im Boden sein, auch wenn für diesen Acker und in dieser Fruchtfolge ein Winterweizen das Richtige wäre, der aber erst im Oktober gesät werden kann. Arbeit, Saatgut, Sprit und Technik im Wert von 250 Euro pro Hektar sind normal für einen Saat-Vorgang, der dann im Herbst wieder rückgängig gemacht werden muss, was wiederum Zeit und Geld kostet.
Oder ein anderes Beispiel: Die „Stütze“ wird je nach Feldfrucht bemessen, die zwischen dem 1. Juni und dem 15. Juli auf dem Acker steht. Die Angaben werden per Satellit-Bild kontrolliert. Macht man aus boden-hygienischen Gründen eine Sommerbrache, welche mit dem Anbau von Grünfutter oder Kompost-Grün bis Ende Mai einhergeht, sowie mit mehrfachem Grubbern im Sommer und dem erneuten Einsäen einer Gründüngung im Herbst, so verfällt ganz einfach die Prämie. Eine solche, bedeutende Steigerung der Bodengesundheit muss also finanziell durch andere Kulturen wettgemacht werden, oder durch den gesteigerten Ertrag auf derselben Fläche im Folgejahr.
Ungenaue und pauschale Daten bilden seit einigen Jahren die Grundlage für das Ausrufen von sogenannten „Roten Gebieten“. Um die wenigen Messstellen herum, an welchen erhöhte Nitratwerte gefunden wurden, wird ein grober Radius bezogen, innerhalb dessen im zweiten Halbjahr überhaupt nicht mehr gedüngt und keine Winterfurche mehr gezogen werden darf. Es wird weder geprüft, ob das erhöhte Nitrat-Vorkommen landwirtschaftlichen Ursprungs ist, noch ob dieses Vorkommen sich im Umkreis rasch verflüchtigt. Auch die örtlichen Grundwasserverhältnisse werden nicht mit einbezogen. Man bohrt, stellt fest und verordnet.
Ein letztes, aktuelles Beispiel von unzähligen: Wegen des Spelzes, der das Dinkelkorn umgibt, kann es vor allem bei der Dinkelaussaat (aber auch bei anderen) zu Verstopfungen der Sämaschine kommen, insbesondere, wenn diese nicht das neueste von den neuen Geräten ist. Im letzten Jahr legte unsere Sechs-Metermaschine auf zwei Bahnen über eine Breite von anderthalb Metern keine Körner ab, sodass über die ganze Länge des Feldes ein Dreimeterstreifen nicht mit Saat bestückt wurde. Die Landwirtschaftskammer ließ den Streifen herausmessen und strich die Prämie für diesen Bereich. Mein Mann schlussfolgerte resigniert, er würde nun also dreifach gestraft: Erstens keine Prämie, zweitens kein Ertrag, drittens erhöhter Unkraut-Druck für die gesamte Fläche, da sich in dem unbearbeiteten Streifen alles Mögliche bis zur Samenbildung entwickeln konnte.
Dies sind, wie gesagt, nur einige wenige Beispiele. Zum leidigen Thema Beregnung bedarf es eines gesonderten Textes. Entscheidend ist vor allem, dass die Folge der Regulierungen in der weiteren Technisierung besteht. Es gibt keinen anderen Weg als die Erhöhung der Schlagkraft, die Zunahme der Präzision in der Technik, die ständige Ertragssteigerung und die Abgabe bestimmter Tätigkeiten an den Lohnunternehmer, der wiederum nur schweres Gerät fährt, der die Flächen nicht kennt und der keine persönliche Verbindung zu ihnen eingeht, also viel häufiger Schaden anrichtet. Die Möglichkeit, aus einer bäuerlichen Kompetenz und emotionalen Bindung heraus Entscheidungen zu treffen und Tätigkeiten durchzuführen, nimmt immer weiter ab, während die Landwirte für ihre notgedrungene Technisierung auch noch am gesellschaftlichen Pranger stehen.
Aber es geht hier nicht um das Zelebrieren einer Opferrolle. Die vielen Landwirte, die ich kenne, neigen jedenfalls nicht dazu. Es geht mir nur darum, einmal darzustellen, dass wir in diesem wichtigen gesellschaftlichen Bereich klar vor Augen geführt bekommen, dass die unzählbaren Spielarten des Lebens in der heutigen Verwaltung, Planung und Reglementierung kaum Beachtung finden. Es ist, als baue man Strategien auf wenige, simplifizierte Grundmuster, die es in Reinform überhaupt nicht gibt. Die Vorschriften sind abstrakte Gebilde, die nicht mit einer gesunden, professionellen und lebendigen Praxis korrespondieren.
Die Frage, die sich dabei für den einzelnen Landwirt immer wieder stellt, ist tatsächlich: Macht das nicht krank? Ist es möglich, einen so anspruchsvollen, arbeitsintensiven und wirtschaftlich unsicheren Beruf weiterhin auszuüben, wenn man es nicht so machen kann, wie man es eigentlich will oder ursprünglich einmal gewollt hat? Besteht dabei nicht auch die Gefahr, dass man das ursprüngliche Wollen schrittweise aus den Augen verliert, weil man es verdrängen muss, um die veränderten Umstände überhaupt auszuhalten? Und ist nicht wiederum auch die Verdrängung alter Ideale ein ernstzunehmender Krankheitsauslöser?
Die Landwirte, die ich kenne, sind allesamt gefährdet. Sie tun ihre Arbeit aus Liebe zur Sache, wissen aber oft nicht, wie dies im Rahmen der heutigen Bedingungen auf die Dauer aushaltbar sein soll. Daher experimentieren sie auch permanent mit wirtschaftlichen Neuansätzen. Manche funktionieren einigermaßen, auch wenn sie immer erst mal mit Mehrarbeit verbunden sind, manche gehen schief, was wiederum den finanziellen Druck auf den Gesamtbetrieb erhöht, manche werden von den Landwirten selbst als moralisch fragwürdig empfunden und nagen deswegen weiter an der Substanz.
Trotzdem ist es die Liebe zum Beruf, die viele Landwirte trägt und zum Weitermachen animiert. Ich preise mich glücklich, immer mal wieder Zeuge von Momenten zu sein, in denen diese Liebe zum Ausdruck gebracht wird. Denn es ist berührend, wenn bei gleichzeitiger Bodenhaftung geschwärmt wird von einer schönen Fläche, einem wohllaufenden Arbeitsvorgang, einer besonderen Morgenstimmung, einer Tierbegegnung auf dem Feld, einem famosen Sonnenuntergang. Die Quellen des Selbsterhalts sind doch verhältnismäßig beständig und ergiebig unter Landwirten und mir scheint, es könnte sich lohnen, einmal genauer hinzuschauen, woher diese Quellen eigentlich entspringen.
Von Myrthe Jentgens sind im Aufland Verlag erschienen: