Mein Moped

Falls es noch eines Beleges für den überflüssigen Satz bedarf, im Osten sei nicht alles schlecht gewesen, dann wäre das die wundersame Renaissance des Mopeds.

Es gehört zum sommerlichen Landleben wie Grillfeuer und Dorffest. In der Stadt sieht man es seltener, oder es fällt im Verkehrsgetümmel kaum auf. Auf dem Land ist das anders. Unverkennbar der Geruch des Zweitakters, noch nach Minuten hängt die Fahne blau in der Straße. Singend das Fahrgeräusch: Die drei oder vier Gänge lösen mit jeweils höheren Tonfolgen einander ab, unverkennbare Gesänge, ich höre sie im Schlaf. Nööön, nööööen, nöööööeeen. Sie verkörpern für mich mehr als alles andere die Zeit meiner Jugend im Osten, nur manche Gerüche sind noch stärker. 

Anders als Motorräder vermitteln Mopeds, obwohl sie durchaus sechzig, siebzig Sachen machen, eine heitere Langsamkeit, ein Lebensgefühl. Ein Moped, das heißt Baden am See, Treffen am Straßenrand, lässige Unterhaltung. Das Standbein auf dem Asphalt, das Spielbein auf dem rechten Pedal; Visiere hochgeklappt oder, für längeren Plausch, den Helm über dem Spiegel. Bei nur kurzer Verständigung bleibt der Motor an, denn das Anlassen ist Fußarbeit. Meistens geht es dann fachsimpelnd um die Maschinen selbst. Gern wird Gas gegeben zwischendurch, obwohl das unnötig ist, aber es gehört dazu und des Absaufens Blöße will sich keiner geben.

Moped wird gerne mit kurzen Hosen und T-Shirt gefahren und meistens, aber nicht immer mit Helm.

Die Dinger sind oft etwas zu klein für die Fahrer, als seien sie für eine kleinere Sorte Mensch gemacht, wie Möbel im Museum. Die Größe und das notwendige Gasgeben mit dem Drehgriff erzeugen jene typische Haltung: Leicht nach unten gedrückte Handgelenke, noch tiefer liegende Ellenbogen und nach vorn gebeugte Schultern. Es gibt reduzierte Darstellungen von der Menschwerdung, die die Entwicklung des aufrechten Ganges vom Affen zum Homo sapiens zeigen, die gewitzte Zeichner zum radfahrenden Zeitgenossen weiterentwickelt haben. Das sollte auch mal einer mit dem Homo mopediensis machen.

Gefahren wird allein und noch lieber in Gruppen. Manchmal kommt es jetzt vor, dass zig oder auch mal hundert Mopeds in langen Kolonnen durch die Landschaft heulen. Dann hat man sich online zu einer Ausfahrt verabredet. Irgendeiner hängt immer zurück, der Probleme mit der Maschine hatte. Am nächsten Treffpunkt wird dann gewartet. Vorrangig sind es Jungs, selten mal ein Mädchen auf dem Sozius, das sich verschämt am verchromten Stahlbügel festhält oder, schon vertrauter, mit den Armen am Bauch des Fahrers, juchzend in der Kurve und schweigend in der Geraden, am Ende froh, wenn es vorbei ist, und auch ein bisschen stolz.

Die Mopeds werden offensichtlich seit ein paar Jahren immer mehr. Das ist erstaunlich, weil es sich definitiv um eine begrenzte Ressource handelt. Genau genommen sind es Oldtimer, eine Neuproduktion ist ausgeschlossen und würde auch nicht akzeptiert. Unvorstellbar wäre auch, sich zu einer Ausfahrt mit einem modernen Mofa oder gar einem Elektroroller hinzuzugesellen. Es muss schon eine Simson oder Schwalbe sein, seltener eine Spatz, Sperber, Habicht oder ein anderer Vogel, deren klangvolle Namen man einst den Mofas und „Mokicks“ gegeben hat. Wo kommen sie her? Der Grund für ihre Rückkehr ist: Sie sind unverwüstlich. Sie kommen aus Kellern und Schuppen, werden aufgemöbelt und neu aufgebaut, wie meine S 50 in Grün.

Sie gammelte und rostete viele Jahre in der Scheune vor sich hin. Sie hatte mich durch meine Jugend getragen, den stagnierenden achtziger Jahren etwas motorisierten Schwung gegeben. Ich hatte sie meinem Bruder abgekauft, der wiederum hatte sie von unserem Onkel, der Steiger im Kalischacht war und als Bergmann auf Sonderzuteilungen hoffen konnte. Die Dinger waren schwer zu bekommen, schon damals, und doch eigentlich hatte jeder eins, der Knappheit zum Trotz. Training und Dorftanz im Nachbarort, Disko in der Kreisstadt, Ausflüge in die Landschaft und ein unvergessener Urlaub im Vorharz, geprägt von Malheuren am Straßenrand. Im Abitur auch manchmal zur Schule, wenn das Wetter es erlaubte, aber das war riskant, denn man konnte jederzeit liegenblieben mit verstopftem Vergaser, was die Hauptursache von Pannen war. Oder man strandete in einer Verkehrskontrolle der Volkspolizei, die am liebsten die Mopeds herauswinkte, waagerecht zeigte der gestreifte Stab zur Seite und man war dran. Ausweispapiere und Funktionskontrolle, mit Vorlage von Werkzeugset und Ersatzbirnchen, die unter dem Seitendeckel versteckt waren.

Ich fuhr sie auch noch in der BRD, nun mit einem Nummernschild aus Aluminium, das man für wenig Geld bei einer Versicherungsagentur bekam. Die S 50 war seinerzeit noch weit davon entfernt, ein Kultobjekt zu sein, sie galt als Dreckschleuder und gestrig wie ein Trabi. Ich fuhr sie, bis ich sie schließlich aufbocken musste, weil die Reparaturen sich häuften, es keine Ersatzteile gab und ich kein Schrauber war. Ich bin eher ein Holztyp. Der Geruch von Benzin und Öl, von Eisenspänen und Bremsbelägen hat mich nie angezogen. Die notgedrungenen Arbeiten an der Maschine, das Putzen und Schmieren, das Reinigen des Vergasers und der Zündkerze, das Aufpumpen und Aufladen der Batterie haben mich nie gereizt, sondern sind mir eine notwendige Last gewesen. Als Lohn konnte ich mich in einem Radius von 20 Kilometern frei bewegen, was im Thüringischen schon eine Horizonterweiterung war, über die nächste Bergkette hinweg ein Blick ins Freie!

Die Simson stand viele Jahre in der Scheune, sie zog mehrfach mit uns um. Unsere Söhne fanden auch keinen Reiz darin, sie wieder zu aktivieren. Im Drang, ein paar Sachen loszuwerden, die sich häuften in den Ecken und Kanten, entschloss ich mich zur Trennung und stellte sie eines Tages bei Ebay Kleinanzeigen rein.

Es dauerte wenige Minuten, dann war mein Postfach übergelaufen. Die Anfragen gingen in die Hunderte. Mein Preis war moderat gewesen; selbstverständlich hatte ich mich aber über den Marktwert eines schrottreifen Mopeds informiert. Das Fahrzeug machte schon einen erbärmlichen Eindruck, als ich es zum Fotografieren auf die Wiese schob, um es annoncengerecht zu präsentieren. Die Reifen platt, die einst blitzenden Stoßdämpfer angerostet, das Grün des Tanks war stumpf und blass geworden. Das PVC des Sitzes war mehrfach aufgeplatzt, anstelle der Hupe gab es nur noch eine Fahrradklingel, die Blinker hatte ich schon lange umgedreht. Fortan musste ich beim Abbiegen den Arm raushalten.

Alle wollten es haben. Einer kam Minuten später auf den Hof gefahren, wollte den Preis herunterhandeln und sah sich interessiert um; er war uns nicht koscher. Er war so neugierig, dass uns das Gefühl nicht verließ, er würde wiederkommen, um sich die eine oder andere Sache einzuverleiben. So viel zur unangenehmen Seite des Deals. Die eigentliche Verkaufsgeschichte war angenehmer, denn der Käufer, der schließlich zum Zuge kam, vermittelte mir das Gefühl, dass meine Jugenderinnerung in gute Hände fiel. Er hat, doch dies nur nebenbei, noch einen Hunderter draufgelegt. Der Zustand des Mopeds indessen interessierte ihn nicht, er schenkte den Einzelheiten keinen Blick.

Der gerissene Motorblock, auf den ich ihn ehrlich hinwies: Reparabel. Ein innen gerosteter Tank: Kein Problem. Auch die fehlenden Fahrzeugpapiere störten ihn nicht. Im Gegenteil: Begeisterung löste in ihm der Umstand aus, dass ich den Tank und die Seitenbleche nie „umgespritzt“ hatte, alles also noch die alte, wenngleich abgewitterte Farbe besaß. Sogar die originale Typenbezeichnung war noch dran. Als ich dieses Interesse spürte, suchte ich in der Werkstatt noch die alten Rückspiegel heraus, die mich stets geärgert hatten, denn ich besaß nicht wie die Meisten das neuere, elegantere Modell, das in den 1980er Jahren mit der „Enduro“ aufkam und so schwer zu kriegen war.

Im Grunde, dachte ich beim Suchen, würde er mit dem Relikt meiner Jugend konsequente Denkmalpflege betreiben. Er würde Gespür für Original und Authentizität walten lassen, notwendige Erneuerungen ablesbar machen und das Vorhandene sorgsam reparieren. Er würde nichts weglassen und nichts hinzufügen, das historische Gerät einfach seiner alten Nutzung wieder zuführen, und natürlich dem Markt, denn er war ein Profi, ein Einzelkämpfer mit einer Geschäftsidee, die das große Interesse an den unverwüstlichen Dingern bediente.

Der Käufer schnallte das Moped kunstvoll auf seinem Hänger fest und meinte beim Abfahren: In vierzehn Tagen habe ich sie wieder flott. Ich stellte mir vor, wie meine Simson S 50B durch die Dörfer knattern würde, und freute mich über ihre anstehende Wiedergeburt. Zugegeben, ein bisschen Wehmut war auch im Spiel. Indes: Wie sieht ein über Fünfzigjähriger auf so einem Fahrzeug aus, man macht sich doch lächerlich! So ein Moped gehört zwischen jugendliche Knie.

Einige Wochen später gab es ein Wiedersehen mit meinem Moped, die mich überraschte und ungemein freute. Sie offenbarte eine kulturhistorische Dimension, die sich bereits in meinen Überlegungen zum denkmalpflegerischen Umgang angedeutet hatte, ohne dafür hinreichende Begründungen zu haben. Nun bekam ich diese Begründung nachgeliefert, denn das Fahrzeug stand als Höhepunkt in einer Kunstausstellung in Chemnitz. Selbstverständlich war es nicht meins, aber es sah genauso aus! Das Moped prangte, als Prunkstück präsentiert, in einer Personalausstellung des Designers Carl Clauss Dietel, dem wir nicht nur den Entwurf für das Moped verdanken. Nein, er hat so viel entworfen, das uns damals im Alltag umgab, dass man sich fragt, ob es eigentlich noch andere „Formgestalter“ gab, wie man Designer seinerzeit nannte.

Er ersann auch das, was infolge der Beschränkungen einer Mangelwirtschaft nie in Produktion gegangen ist, einen wie ein „Westwagen“ anmutender Trabi etwa oder ein stapelbares Bank- und Stuhlsystem aus Kunststoff. Der „Simson“ gab er mit dem geschwungenen Tank ihre dynamische Gestalt. So wie sie da im Museum stand, prominent platziert und ausgeleuchtet, wurde offenbar: Hier sehen wir vollkommen auf die Funktion reduzierte Form, keine Schraube zu viel, und der „Bananentank“ ist Dreh- und Angelpunkt der umgebenden, offen gezeigten Technik. Tank und Seitendeckel sind das künstlerische Moment, das alles zusammenführt und die Maschine zu einem eleganten Gebrauchsartikel macht.

Angesichts dieses Anblicks und der Wertschätzung, die das Gerät erfuhr, kam noch einmal ein bisschen Reue in mir auf, dass ich mich davon getrennt hatte. Sei es drum: Vielleicht verdankt sich die große Renaissance des Fahrzeugtyps auf dem Land auch seiner Design-Qualität, dachte ich, und freue mich seitdem umso mehr, wenn es hinter mir unverkennbar jault und ein liebevoll gepflegtes Moped seine Fahne verbrannten Gemischs durch die Straßen zieht. Und immer, so scheint es mir, ist bei den Fahrern auch ein bisschen Trotz dabei.

3. Juli 2023