Morgenstunde

Es war einer jener Sonntage, die noch im Winter liegen, aber schon zum Frühling hin ihre Arme ausstrecken. Ich wachte früh auf und ging hinaus in den Garten. Es war sonnig, die Luft hatte einen flüssigen Charakter, weich und freundlich. Sie trug alle Geräusche aus dem Umkreis zu mir, glockenklar und doch eingehüllt in ein gemeinsames warmes Summen. Es klang nicht so wie wochentags, wenn der Lärm von der Schnellstraße herüberdringt, nein, es war ein Ensemble aus verschiedenen Musikern, die mit ihren Instrumenten miteinander zu spielen schienen, dabei aber viel Mut zur Pause hatten, sodass jeder einzelne Ton zu hören war: das Zwitschern der kleinen Singvögel, das Trompeten der Kraniche, das Tuten der Bahn, das Blöken der Schafe, das Bellen der Hunde und das Röhren der Rehböcke, auch vereinzelte Motoren und ja, da war auch ein Gelächter.

Ich stand im Schlafanzug mitten in diesem Morgen und fühlte das alles. Als seien wir alle zusammen aufgewacht, die Tiere und die Luft und die Menschen und ihre Maschinen, als gehörten sie alle zusammen.

Ich fragte mich, ob ich vielleicht schon gestorben war, denn diese Schwingung meines völlig schmerzbefreiten Körpers mit seiner Umwelt, dieses sanfte Behagen bei so wachen Sinnen, hatte etwas Paradiesisches. Die betriebsamen Vögel in den Sträuchern schienen mich wahrzunehmen, genauso wie auch ich sie wahrnahm. Alles prangte in hellen Farben, aber die Welt schien doch nicht bunt zu sein, sondern es war, als kämen die Farben aus einem Grund, als verweisen sie auf ihre gemeinsame Quelle. Alles war Eins, alles war Leben.

Eine Stunde später hatte sich der Himmel zugezogen. Die Luft war grau und windig, und nur noch einzelne Meisen und Spatzen tschilpten am Futterhaus.

Man kann zum Lob Gottes rufen oder mit Goethe ein Gedicht finden, man kann es als romantische Erfahrung bezeichnen oder als die Heilung der Blumenkinder, wie auch immer, man sollte immer mal früh aufstehen und in den Garten gehen, der Lohn ist groß.

20. März 2024