Sie erzählte mir von ihrer Wiese bei einem Dorffest, zu dem die Leute aus allen Himmelsrichtungen kamen, um historische Landmaschinen zu sehen und zu zeigen. Alte Traktoren: Bulldog und Lanz, Lamborghini und andere klangvolle Namen, bei denen Kennern das Herz aufgeht. Ich erfreute mich vor allem an den herrlichen Geräuschen, die diese starken alten Maschinen machen. Dumpfe, kraftstrotzende Rhythmen, manche zu Beginn von erstaunlicher Langsamkeit, die beim Gasgeben allmählich schneller werden und schließlich in einen gleichbleibendes Stakkato einschwenken. Als Kinder haben wir das mit den Lippen nachgeahmt, wenn wir Traktor gespielt haben, wie es im Osten hieß, nicht Trecker. Das ist auch so eine fast vergessene Differenz, Traktor und Trecker, die räumlich entgegengesetzte Kulturhorizonte offenbart.
Daran dachte ich gerade, als Maren bei unserer Wiederbegegnung zunächst ihrer Verärgerung Luft machen musste, denn es gab entweder Bratwürste oder Steaks. Ich kannte sie flüchtig und wusste nur, dass sie „zugezogen“ war. Sie könne, meinte sie eröffnend, als Veganerin nicht einmal bei einem Brötchen sicher sein, ob hier nicht Schweineschmalz im Spiel war. Hatte die Verkäuferin doch stolz behauptet, dass ihre Brötchen „ohne Luft“, also wie in der DDR gebacken seien. In so eine Ostsemmel gehört Schmalz hinein, das wusste jeder, der sich einmal mit der Herstellung von Brot und Brötchen beschäftigt hat. Und hier war sie firm. Ich fragte mich kurz, ob vegane Kost und historische Landmaschinen überhaupt eine Schnittmenge besaßen. Doch dann kam sie auf ihre Wiese zu sprechen.
Maren hatte das Gartengrundstück auf dem Land vor zwei Jahren übernommen, von einem Vorbesitzer, der sich die Gartenarbeit in seinem Alter nicht mehr zutraute. Er hatte schweren Herzens Abschied genommen von dem Pachtgrundstück mit dem „Bungalow“, wie sie hier noch immer sagten, seltener auch noch „Datsche“; das aus dem Russischen stammende Wort war aus der Mode gekommen. Tinyhouse sagte niemand, so dass sie im Dorf das Modewort tunlichst vermied, das sie bei ihren Berichten vom Land gegenüber ihren städtischen Freunden bevorzugt verwendete. So nahm ihre Wortwahl verschiedene Wege, je nachdem, wo sie sich befand. Aber an ihren Wochenenden auf dem Land hatte sie ohnehin wenig Gelegenheit zum Reden.
Sie nahm das Grundstück am Waldrand mit großer Freude in Empfang und konnte dem Mann glaubhaft vermitteln, dass der Garten bei ihr in gute Hände fiel. Sie hatte mehrere Jahre von einem Refugium auf dem Land geträumt, vor allem für ihren Sohn, um ihm am Wochenende und in den Ferien eine entspannte Zeit im Grünen zu bieten. Sie wollte ihn der Natur nahe bringen, der sie in ihrer kleinen Stadtwohnung doch so fern waren. Der Ort wiederum war der Stadt nahe genug, um ihn in einer Stunde zu erreichen. Früher hätte man das „Naherholung“ genannt, aber auch das sagte keiner mehr, selbst auf dem Land.
Leider war die Anreise nur mit dem Auto möglich. Der Zug fuhr nur bis in die zehn Kilometer entfernte Kleinstadt und Busse gab es zu selten, gerade am Wochenende, wenn die Schule geschlossen war. Also buchte sie jedes Mal einen Kleinwagen bei einer Carsharing-Firma. Das mit dem Leihwagen sagte sie entschuldigend, was angesichts der knatternd vorbeiziehenden Parade von Traktoren, die schwarze und blaugraue Abgase ausstießen, von einiger Komik war.
Bei ihrer Übernahme war der Garten akribisch gepflegt, und auch die notwendigen Gartengeräte hatte der Mann ihr überlassen. Voller Stolz hatte er ihr den Rasenmäher und den Trimmer für die Ränder vorgeführt und erklärt, welchen Treibstoff welches Gerät benötigte. Die Kanister hatte er mit den Namen der Maschinen beschriftet.
So konnte eigentlich nichts schief gehen. Sie hatte jedoch keine der Maschinen benutzt, weil sie den Garten naturnah entwickeln wollte. Die Kanister standen halbvoll im Schuppen. Ihr schwebte vor, insbesondere die große Rasenfläche zu einer Wiese zu machen, und hatte Bilder wogenden, artenreichen Graslandes vor Augen. Mitfühlend hatte ihr die Nachbarin, eine gut achtzigjährige Frau, mit langem Blick auf den bereits hoch gewachsenen Rasen im vergangenen Jahr erklärt: „Es hat auch bei mir einige Jahre gedauert, bis ich meinen Rasen in den Griff bekommen habe.“
Maren hatte alles richtig machen wollen. Sie besuchte ein Sensenseminar, das der Naturschutzbund in der Stadt anbot. Sie übten im Park nicht nur das Sensen, sondern auch das Dengeln, was, wie sie sagte, für sie die größte Schwierigkeit darstellte. Sie hatten dann am Ende des Seminars Geräte zum Kauf angeboten, was sie zunächst verstörte, doch dann hatte sie sich doch eine Sense mit einem hölzernen Sensenbaum, einen Wetzstein, einen Dengelstock und einen Hammer zugelegt. Sie war so ehrlich einzugestehen, dass sie aus Angst vor Schnittwunden nur die Sense benutzte, nie die Utensilien zum Schärfen. So war die Sense inzwischen etwas stumpf und die Arbeit schwerer geworden. Sie musste das Gras mit schnellem Schnitt abschlagen, zu Beginn hatte das sanfter funktioniert. Zudem hatte sie den Kauf des hölzernen Sensenbaums bereut, da er immer wieder festgezogen werden musste und die Oberfläche so rauh geworden war, dass sie sich Blasen zuzog.
Ohnehin hatte sie die Fläche bisher nur dreimal mähen müssen. Zweimal im vergangenen Jahr, als der Rasen jedoch nicht so recht wuchs. Es war ein trockener Sommer gewesen; erst im September kam Regen. Zudem war der Rasen durch den ständigen Schnitt des Vorbesitzers noch so erzogen, dass er nicht hoch werden wollte. Er bestand noch überwiegend aus Gräserarten, die niedrig blieben. Anders in diesem Jahr, das seit dem Winter feucht und damit nahrhafter für die Pflanzen war. Wie zum Hohn der allgegenwärtigen Warnungen vor einer klimatischen Apokalypse wucherte diesmal die Vegetation. Die Landschaft wie auch die Gärten waren von einem satten, fast unwirklichen Grün. Die Wiesen standen hoch und dicht und vielfältig, die Bauern hatten kaum Grund zur alljährlichen Klage. Zudem musste sich an der Zusammensetzung von Marens Rasenfläche etwas geändert haben, denn es zeigten sich die ersten derben, höheren Gräser und Kräuter, darunter viele Brennnesseln. Die Nachbarin quittierte dies mit argwöhnischen Blicken und spitzen Worten. Sie hatte ihren Gemüsegarten direkt hinter dem Zaun und befürchtete, die „Beikräuter“ in Marens Garten könnten sich alsbald als Unkräuter in ihrem Garten wiederfinden.
Leider zeigte sich keine einzige Blume. Dabei hatte Maren im April mehrere Tüten mit den Titeln „Blumenwiese“ und „Bienenweide“ ausgeworfen. Diese hatten, wie sie mit Verweis auf ihren Status als alleinstehende Mutter sagte, eine Menge Geld gekostet, gemessen am Erfolg, der gleich Null war. Die verheißungsvollen Blumenbilder von der Vorderseite der Samentüten wollten sich nicht einstellen, obwohl sie die Anleitungen der Rückseite vollständig befolgt hatte.
Dennoch war nun der Moment gekommen, da die Wiese, zu der der Rasen im Begriff war sich zu entwickeln, gemäht werden musste. Wenn sie gegen die Halme schnipste, zeigten sich Wolken von Pollen; erste Grassamen fielen aus. Das hatten sie ihnen im Seminar eingeschärft, dass man nicht zu lange warten durfte: Die Halme könnten umfallen, verfilzen und das Mähen noch schwerer machen.
Also war sie letztes Wochenende zur Tat geschritten und hatte gemäht. Alle Bauern taten das zu diesem Zeitpunkt, die Luft war erfüllt vom Maschinenlärm und vom Duft nach frisch geschnittenem Gras. Das Wetter war trocken und heiß geworden und sollte stabil bleiben.
Sie begann mit dem Mähen am frühen Morgen, als ihr Sohn noch schlief. Den Kaffee mit Sojamilch stellte sie auf die Terrasse und begann, das stählerne Blatt über den Boden streichen zu lassen. Sie genoss die Vogelstimmen, die den passenden Background zu ihrer archaischen Arbeit lieferten, das Fallen der Grashalme, die die Sense am Ende jedes Schwunges zu einem Bündel zusammenschob, so dass ein Schwaden entstand, wie sie es im Seminar gelernt hatten.
Sie zog die Schwaden mit einem Rechen auseinander, damit das Gras besser trocknen konnte, und wendete das Heu alle zwei Stunden. Sie musste bis Sonntagabend fertig werden, hoffentlich kam kein Gewitter dazwischen! „Glücklich und geschafft“ beschrieb sie ihren Zustand, als sie das duftende Heu in Säcke verpackte.
In der darauffolgenden Woche hatte sie vergeblich versucht, Abnehmer für das Heu zu finden, das im Flur ihrer Stadtwohnung stand. Die Geschäftsidee ihres Sohnes, das Zeug in kleine Tüten zu verpacken und an Kaninchen- und Meerschweinbesitzer zu verkaufen, kam nicht über die Ideenphase hinaus. So hatte sie die Säcke am nächsten Wochenende wieder mit ins Dorf gebracht und einer Familie geschenkt, die gerade mit dem Heueinfahren beschäftigt war. Sie schütteten die Säcke mit auf den Hänger, den sie beluden, und gaben ihr das Leergut dankend, aber auch mit einem leisen Grinsen zurück. Das Heu war in der Masse ihrer Ernte nicht ins Gewicht gefallen.
Doch bei der Rückkehr in ihren Garten war Maren vom Anblick ihres Refugiums entsetzt. Sie wollte ihrem Kind doch einen grünen Garten bieten! Eine Woche trockenes Wetter hatte genügt, um die Wiese gelbbraun werden zu lassen. Der Garten war eine Steppe. An vielen Stellen schaute die blanke Erde zwischen den knapp über dem Boden abgeschnittenen Grasbüscheln hervor. Das anhaltend trockene Wetter versprach keine Besserung; der Garten würde vermutlich den Rest des Sommers über so aussehen. Er war zudem zu einem Sturzacker geworden und eignete sich nicht mehr zum Ballspielen.
Marens Enttäuschung war buchstäblich mit Händen zu greifen. Der Glaube an das grüne Landidyll hatte Risse bekommen. Das Landmaschinentreffen mit Fleisch hatte nicht eben dazu beigetragen, die Risse zu schließen. Meine Sätze ließen sie auch keine große Hoffnung schöpfen. Ich sagte Sachen wie „So eine Wiese erholt sich erstaunlich schnell, wenn es regnet.“ oder „Eine Wiese ist eben kein intensiv nutzbarer Rasen, man muss sich entscheiden.“ Sie war kurz davor, die Maschinen des Vorgängers in Betrieb nehmen. Es dauert schon ein paar Jahre, bis man so einen Rasen in den Griff bekommt.