Auf dem Hof steht eine junge Frau. Sie kommt vom Veterinäramt, zeigt einen Ausweis und will unsere Hühnerhaltung kontrollieren. Das ist ihr Auftrag, es steht ihr zu, das Grundstück zu betreten. Das Geflügel ist bei der Tierseuchenkasse gemeldet, nun wird es überprüft, alles muss seine Richtigkeit haben. Die Frau zieht sich einen grünen Schutzanzug an und stapft durch unseren Garten zum selbstgebauten Hühnerstall. Naja, soweit schon in Ordnung, aber sind denn die Hühner geimpft? Nein, sind sie nicht. Das müssten wir aber, ob wir das nicht wissen? Kann sein, aber hilft denn das? Das steht hier nicht zu Debatte: Impfen, soundso oft, dann und dann. Anschließend zieht die junge Frau ihren Overall wieder aus und fordert mich auf, meine Mülltonne zu öffnen, um diesen dort entsorgen zu können. Denn sie dürfe den Anzug nicht wieder mit ins Auto nehmen, aus Infektionsschutzgründen. Widerstrebend mache ich unsere Mülltonne auf. Dann fährt die junge Frau ab, ich stehe noch lange auf dem Weg und schaue ihr nach.
Einiges an diesem Besuch macht mir ein Unbehagen, obwohl die Frau recht freundlich war. Es ist nicht nur die Sache mit dem Müll, den sie bei mir entsorgt hat. Das erinnert mich an amtliche Dienstleistungen, für die man extra bezahlen muss, obwohl man das Amt ja bereits finanziert hat, mit seinen Steuern. Oder an medizinische Leistungen, die trotz meiner hohen Krankenkassenbeiträge einen extra Preis haben, Tendenz steigend. Das finde ich alles nicht in Ordnung. Vor allem aber ist es das Unbehagen an der veterinärmedizinischen Logik, die sich plötzlich in meinem Höfchen breitgemacht hat. Tiergesundheit ist wichtig, das finde ich auch. Aber die modernen Regeln der Tierhygiene sind für Tierbestände ganz anderer Art gemacht worden, nicht für meine sechs Gartenhühner. Kleinviehhalter werden im Falle von Epidemien nicht anders behandelt als Intensivhaltungen. Es kommt mir manchmal vor, als schösse man mit Kanonen auf Spatzen.
Ich bin nicht sicher, ob ich meine Tiere impfen lassen will, ich weiß nicht, ob es überhaupt etwas hilft, ich möchte auch nicht noch mehr Kosten haben. Außerdem habe ich seit der Coronazeit einen Schaden an meinem behördlichen Vertrauen erlitten, das mag ungerecht und dumm sein, aber sei`s: Ich habe lauter Fragezeichen. Für den Fall, dass es einen Vogelgrippe-Alarm in meiner Region gibt, bringt eine Impfung unseren Hühnern jedenfalls nicht viel, denn dann wird eine flächendeckende Stallpflicht verhängt, wie sinnvoll das auch sein mag. Wir haben jedoch Freilandgeflügel, die Tiere sind nur nachts im Stall, zum Schlafen. Wenn wir mal ein gutes Brutjahr haben, sind es zu viele Hühner für einen wochenlangen Aufenthalt in dem kleinen Holzbau. Was mach ich dann?
Man kann nur auf das Augenmaß des jeweiligen Landratsamts und seines Amtstierarztes hoffen, denn sobald eine bestimmte Gefahrenlage ausgerufen ist, gibt es eigentlich keine Rücksicht mehr auf den Einzelfall, höchstens großzügiges Drüberhinwegsehen. Grundsätzlich gilt: Fegt eine veterinärmedizinische Maßnahmenwelle über eine Region, geht es zu Lasten der Selbstversorger. Zur Abwehr der afrikanischen Schweinepest wurden in meiner Gegend nicht nur kilometerweise Zäune gezogen, sondern auch die ganzen kleinen Schweinehalter aufgefordert, ihre Tiere umgehend abzuschaffen. Das ist beinahe irreversibel. Man hält nicht mal eben so ein Schwein, diese Haltung ist ein kleines landwirtschaftliches System, das von Futter, Mast, Stall, Pflege, Schlachtung, Verarbeitung und Verzehr eine Fülle an Handlungen, Kooperationen und Stoffkreisläufen umfasst. Wer das einmal aufgibt, fängt nicht einfach wieder an. Innerhalb von wenigen Monaten ist somit im Oderbruch eine ganze subsistenzwirtschaftliche Praxis einfach abgeschafft worden, denn hier gab es bis dahin noch eine ganze Menge kleine Schweinehalter.
Ähnliches befürchte ich auch für die Schafhaltung. Als vor einigen Wochen ein Maul- und Klauenseuchen-Alarm durch die Zeitung fuhr, sah ich meine Schafe schon beim Abdecker – nicht als erkrankte, sondern als sicherheitshalber gekeulte Tiere. Wie oft fängt man wieder von vorn an, wenn einem so etwas widerfahren ist? Von den Wölfen, die sich nun wieder in meiner Gegend breit machen, gar nicht zu reden. Ich kann mir nicht für drei bis vier Schafe einen Herdenschutzhund anschaffen.
Nein, es ist wahrscheinlich keine Absicht, dass sich viele Selbstversorger, die eigenes Vieh halten, immer ein wenig bedroht fühlen. Aber es sind ja nicht nur die veterinärmedizinischen Logiken, die in den Raum hineinwirken. Die Welt wird steriler, die herrschenden Lebensstile mit ihrem Veganismus und ihren Ängsten vor Schmutz und Gestank machen aus einer Lebensweise, die ohnehin ein Relikt ist, eine argwöhnisch beäugte Schrulligkeit. Wie lange wird die Gesellschaft noch akzeptieren, dass ganz normale Menschen Nutztiere halten, die sie zwar versorgen, aber eben auch schlachten und essen, deren Eier sie sich einverleiben, deren Milch sie trinken? Dass Krähen der Hähne akzeptieren nicht mehr alle Nachbarn, vor allem nicht, wenn sie aus der Stadt aufs Land gekommen sind. Man wollte doch seine Ruhe. Ich bin also auf der Hut.
Warum ist das überhaupt wichtig? Nun, der Weg vom Fleisch oder vom Ei zur Nahrung auf dem Teller ist sehr kurz. Wenn es so etwas wie Ernährungssouveränität gibt, dann kann sie durch die Tierhaltung wirklich hoch sein. Stärker als bei vielen anderen subsistenzwirtschaftlichen Praktiken erlebe ich bei der Nutztierhaltung einen wirklichen Selbsterhalt, verbunden mit der Erfahrung von Geburt, Wachstum, Sorge, Genuss, Arbeit und Tod. Tierhaltung macht Mühe – und sie macht satt. Aber im Diskus über unsere Ernährung kommt das nicht vor. Der Diskurs reicht von den Klimafolgen des Fleischkonsums über die angebliche Schädlichkeit als Nahrungsmittel bis zum moralischen Vorwurf des Nutzverhältnisses. Inzwischen müssen sich sogar die Imker rechtfertigen, dass sie den Bienen ihren Honig wegnehmen.
Wer sich nun aber aus diesem Unbehagen heraus abschirmt, hat keinen ruhigen Tag mehr. Es gibt Nachbarn, Spaziergänger und Wanderer, es gibt Fahrradtouristen und Besucher und es gibt, wie gesagt, die Kontrollen durch das Veterinäramt. Man kann sich mit seinen Tieren nicht verstecken, man muss sie unter aller Augen halten, und deshalb in eine aktive Haltung finden. Die Tierhaltung zur Selbstversorgung ist eine Praxis, die nicht durch den Rückzug abgesichert werden kann. In der Autarkie ist man verwundbar. Man sollte stattdessen mit den Nachbarn sprechen, sich austauschen und helfen. Ich leihe mir einen Bock und frage die anderen Schafhalter um Rat. Meine Frau ist Mitglied im Imkerverband, hier wird über alle Probleme gesprochen, über gestohlene Völker, Sorgen mit der Landwirtschaft ringsum und über steigende Kosten. Man muss sich auch Tierärzte suchen, die einen verstehen und unterstützen – solche gibt es. Und man muss ganz Außenstehenden gegenüber vorsichtig und beredt für die Erfahrung werben, die in all dem liegt. Es ist ja nicht so, dass es die Leute nicht interessiert. Bei der Tierhaltung geht es also nicht nur um die Beziehung zwischen mir und dem Tier, sie ist eine soziale Angelegenheit. Und das, so scheint mir, macht es so wertvoll.